Auch Kinder fragen nach der „Liebe“   
Brögers 1200 Lexikon-Geschichten

Achim Bröger, den wir beim Telefonieren aufschrecken, sieht aus, als ob er eine ganze Nacht, denkend und schreibend, am Schreibtisch gesessen hätte. Dichter haben eben andere Arbeitszeiten. „Dichter“ klingt allerdings heute zu pathetisch, und „Heimatdichter“ würde er mit Recht als Beleidigung auffassen. Wer in diesen Zeiten Bücher schreibt und auf sich hält, ist Schriftsteller oder Autor. Als solcher hat Bröger etliche Auszeichnungen erhalten.
Er ist abgespannt, weil er drei Tage in Marl war. Diese Ausflüge sind wichtig. Für seine Geschichten braucht er neue verwertbare Erfahrungen und Erlebnisse. In Marl ist er in ein Hochhausgebiet gegangen und dort mit Kindern zusammengetroffen, in der psychiatrischen Klinik hat er Kindern aus seinen Büchern vorgelesen.
Zurück in seinem Reihenhaus am Wilhelm-Raabe-Weg in Bienrode, fand er erfreuliche Post vom Wissenschaftsministerium vor. 5000 DM gibt es ihm als Zuschuß für ein Projekt. Bröger will untersuchen und beschreiben, wie Berufe von Eltern auf Kinder wirken. Eine andere Ehrung stürzt ihn fast in Verlegenheit. Der PEN-Club, die renommierte internationale Schriftstellervereinigung, hat ihn aufgenommen, und der ist sehr wählerisch.
Eigentlich sind wir da, weil der 36jährige frühere Werbetexter mit einem Schmökerlexikon für Kinder die Fachwelt beeindruckte. Es ist das erste Mal, daß ein Verlag, das Bibliographische Institut Mannheim/Wien/Zürich (Meyer), einen einzelnen Schriftsteller die Texte schreiben ließ. Drei Jahre hat Bröger kleine Erzählungen zu 1200 Begriffen verfaßt. 1000 bunte Bilder, gezeichnet von Günther Biste und Peter Freitag, sollen dem Kind alle Scheu nehmen, in dem Buch zu blättern.
Antworten auf Fragen
Daß die Fragen der Kinder über die Welt, wie sie ihnen begegnet, eine Antwort verdienen, erkannte schon einer der frühesten Reformpädagogen, Johann Amos Comenius. 1653 veröffentlichte er das erste bekannte Sachbuch für Kinder, eine ganze Welt im Bild: den „Orbis sensualium pictus“, „Die wohlgeordnete Welt der Gegenstände“, schrieb der Verlag zur Neuerscheinung des Lexikons, „läßt sich in diesem noch gängigen Werk bestaunen, und die ungezählten nachfolgenden Kinderlexika haben Comenius' Anspruch, die sichtbare Welt in Bildern zu erklären, im wesentlichen unangetastet gelassen.“ Doch die Darstellung der gegenständlichen Welt ist ja nicht die ganze Wirklichkeit – auch nicht für ein Kind. Es stellt nicht nur bohrende Fragen nach technischen Details, sondern sucht auch nach dem Wie und Warum, wenn es sich ängstigt oder freut oder Probleme hat. So finden sich in diesem Lexikon Verständnishilfen für „allein“ und „Angst“, für „Liebe“, „tolerant“ und „trösten“.
Textproben
Achim Bröger verfügt über die Gabe, sich in Kinderseelen einzufühlen. Eine Fähigkeit, die er im Umgang mit seinen und anderen Kindern entwickelte, nicht deswegen, weil er so viele psychologisch-wissenschaftliche Werke gelesen hat. „Die würden mich einengen“, glaubt er. Oft hat er seinem jetzt neunjährigen Sohn Jonas Proben vorgelesen, und manchmal sagt der: „Das klingt schön, aber was ist denn das?“ Dann warf Vater den Text weg und machte einen besseren.
Weil Kinder etwas anderes wichtig finden können als Erwachsene, hat Bröger auch kleine Geschichten zu Begriffen wie „Spraydose“, „Toilette“, „Kobold“, „Vampir“ und „petzen“ geschrieben. In dem Nachschlagewerk erfahren Kinder auch etwas über Fortpflanzung, Geburt, über die kleinen Unterschiede zwischen Mann und Frau, über Verführungen wie den Alkohol. Keineswegs macht die Neugier der Kinder vor solchen Themen halt, und Bröger findet es unehrlich, solche Erklärungen aus falscher Rücksichtnahme heraus wegzulassen.
Es darf nicht verschwiegen werden, daß die Verlagslektoren von Meyer den angesichts der Stoffülle hin und wieder Verzweifelnden immer wieder telefonisch aufgemuntert haben, sich zurück an den Schreibtisch zu setzen. Vermutlich sind ihm wegen der vielen Arbeit noch mehr Haare ausgefallen.
Doch schon heckt er nach kurzer Verschnaufpause Neues aus. Er hat eine Liebesgeschichte für Jugendliche begonnen: „Es soll ein Buch werden über die Schwierigkeiten miteinander und über die Fähigkeit, sich zu trennen.“  -ui-
  Braunschweiger Zeitung 1980